Eine Stimme aus Luxemburg: Europas Politik ohne Visionen: Viele der Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um nach Europa zu gelangen, sind wirkliche Flüchtlinge. Die meisten aus Somalia, einem Land ohne Staatsführung, aus Eritrea, einer Militärdiktatur, immer mehr aus Syrien, wo Krieg herrscht. Sie flüchten, weil zuhause Tod oder Gefängnis droht. Die anderen sind Wirtschaftsflüchtlinge. Die meisten aus Afrika. Ihr Leben ist oft nicht bedroht. Aber das Leben, das sie führen müssen, ist sehr schwierig und zumeist perspektivlos. Und so machen sie sich auf, um den Traum von ihrem Glück in der Ferne zu erfüllen. Dort, wo der Wohlstand sich breitgemacht hat, wo keine jährlichen Hungersnöte die Existenz bedrohen, wo Wasser nicht täglich von kilometerweit her herbeigetragen werden muss, wo medizinische Versorgung gewährleistet ist, wo die Säuglingssterblichkeit niedrig ist und Schule und Ausbildung bessere Chancen ermöglichen. Wo es vor allen Dingen Arbeit gibt und man mit dem Geld, das man verdient, die Familie zuhause unterstützen kann. So ihr Traum. Und Europa? Nicht einmal bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten herrscht Konsens über eine Aufnahme oder die Gewährung von Asyl. Das Ganze kommt einem Offenbarungseid in Sachen Flüchtlingspolitik gleich. Sicher kann Europa nicht zu einem Aufnahmeort für den halben afrikanischen Kontinent und all die anderen werden. Aber besonders mit Blick auf Afrika wäre etwas Besinnung angebracht. Man würde verstehen, warum die Menschen dort wegwollen. Man würde erkennen, dass vieles, was in Afrika falsch läuft, seinen Ursprung in europäischen Kolonialzeiten hat. Dass subventionierte europäische Produkte heute den afrikanischen Markt in bestimmten Bereichen empfindlich stören. Kurzum, dass manche Zustände dort so sind, wie sie sind, weil rohstoff- und absatzmarktsüchtige Europäer – nicht nur sie, aber auch die Europäer – in Afrika mitmischen.

Ohne Visionen
Ohne Visionen

von Serge Kennerknecht – Am Wochenende wurden im Mittelmeer erneut rund 400 Flüchtlinge gerettet. Der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab. Wobei der Begriff „Flüchtling“ zu sehr verallgemeinert.

storybildDie Flüchtlingspolitik der EU kommt einem Offenbarungseid gleich. (Bild: AFP)

Viele der Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um nach Europa zu gelangen, sind wirkliche Flüchtlinge. Die meisten aus Somalia, einem Land ohne Staatsführung, aus Eritrea, einer Militärdiktatur, immer mehr aus Syrien, wo Krieg herrscht. Sie flüchten, weil zuhause Tod oder Gefängnis droht.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.luSerge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.luDie anderen sind Wirtschaftsflüchtlinge. Die meisten aus Afrika. Ihr Leben ist oft nicht bedroht. Aber das Leben, das sie führen müssen, ist sehr schwierig und zumeist perspektivlos. Und so machen sie sich auf, um den Traum von ihrem Glück in der Ferne zu erfüllen. Dort, wo der Wohlstand sich breitgemacht hat, wo keine jährlichen Hungersnöte die Existenz bedrohen, wo Wasser nicht täglich von kilometerweit her herbeigetragen werden muss, wo medizinische Versorgung gewährleistet ist, wo die Säuglingssterblichkeit niedrig ist und Schule und Ausbildung bessere Chancen ermöglichen. Wo es vor allen Dingen Arbeit gibt und man mit dem Geld, das man verdient, die Familie zuhause unterstützen kann. So ihr Traum.

Sie glauben, dass das in Europa möglich ist. Sie verfolgen das Geschehen hier. Internet gibt es fast überall in Afrika, oft selbst in entlegenen Dörfern. Sie haben auch Handys, teuer gekauft, nicht immer voll funktionsfähig, aber immerhin. Die jungen Leute wollen weg. Sie wollen mehr als das, was sie zuhause erreichen können, sie wollen ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten. Das ist verständlich.

Und so machen sie sich auf den mühsamen und gefährlichen Weg, mit dem Geld, das ihre Familien unter zahlreichen Entbehrungen oder durch den Verkauf von Vieh, das ihnen später fehlen wird, zusammengetragen haben. Geld für die Überfahrt nach Europa. Sie vertrauen ihr Leben skrupellosen Menschenschmugglern an, denen sie auf Gedeih und leider auch Verderb ausgeliefert sind. Ein Zurück gibt es nicht. Wer zurückkommt, hat versagt. Was soll man diesen Menschen sagen? Dass sie wirklich nur einem Traum hinterherjagen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, in der krisengeschüttelten EU? Dass Europa sie gar nicht haben will? Es wäre sinnlos.

Man zeigt tiefe Betroffenheit

Und Europa? Nicht einmal bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten herrscht Konsens über eine Aufnahme oder die Gewährung von Asyl. Geschweige denn bei den anderen. Man zeigt zwar tiefe Betroffenheit, wenn es wieder eine Tragödie im Mittelmeer gegeben hat. Man sichert den Ländern, die mit dem Problem täglich konfrontiert sind – Italien, Malta, Griechenland, Spanien – Solidarität und finanzielle Unterstützung zu. Und das war es dann. An eine Änderung des Asylrechts wird weniger gedacht. 24 der 28 EU-Länder sind dagegen, das Abkommen von Dublin zu ändern, das besagt, dass für illegal eingereiste Flüchtlinge die Länder zuständig sind, in denen sie ankommen. Peinlich geradezu das Aufrechnen von Zahlenmaterial, das belegen soll, dass man durchaus prozentual am Bevölkerungsstand gemessen so viele oder gar mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als ein anderes Land. Hilflose Beschlüsse wie der, man wolle verstärkt mit den Herkunftsländern zusammenarbeiten, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen.

Mit wem will man reden in Somalia oder in Eritrea? Oder in Libyen, von wo aus die meisten Boote ablegen? Wer sollen die Ansprechpartner ausgerechnet in jenen Ländern sein, von wo aus so viele aufgebrochen sind, weil sie sich zuhause keiner Illusion mehr hingeben? Entlarvend die Tatsache, dass man sich beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag lediglich auf eine Verstärkung der Grenzagentur Frontex geeinigt hat, die übrigens nicht nur im Mittelmeerraum tätig ist, sondern auch die Grenzen im Osten kontrolliert, wo die Menschen aus Asien nach Europa drängen. Mit Nachtsichtgeräten, die auf menschliche Wärme reagieren, damit ja nur keiner durchkommt.

Ein kleiner Trost immerhin, dass man jetzt verstärkt nach Flüchtlingsbooten Ausschau halten wird, auch mit dem von Satelliten und Drohnen unterstützten Eurosur-System, um wenigstens menschliche Tragödien wie kürzlich vor Lampedusa wenn möglich zu vermeiden. Natürlich auch, um auslaufende Boote an der Überfahrt zu hindern. Aber eine Festung will die EU nicht sein. Immerhin hat man ja nicht den Bau eines regelrechten Grenzwalls beschlossen, wie ihn die USA entlang der mexikanischen Grenze errichtet haben.

Das Ganze kommt einem Offenbarungseid in Sachen Flüchtlingspolitik gleich. Sicher kann Europa nicht zu einem Aufnahmeort für den halben afrikanischen Kontinent und all die anderen werden. Aber besonders mit Blick auf Afrika wäre etwas Besinnung angebracht. Man würde verstehen, warum die Menschen dort wegwollen. Man würde erkennen, dass vieles, was in Afrika falsch läuft, seinen Ursprung in europäischen Kolonialzeiten hat. Dass subventionierte europäische Produkte heute den afrikanischen Markt in bestimmten Bereichen empfindlich stören. Kurzum, dass manche Zustände dort so sind, wie sie sind, weil rohstoff- und absatzmarktsüchtige Europäer – nicht nur sie, aber auch die Europäer – in Afrika mitmischen.

Statt hier mittelfristige Ansätze zu sehen, politische Linien zu ändern, den Menschen vor Ort Hoffnung auf eine bessere Zukunft im eigenen Lande zu bieten und kurzfristig mehr, vor allen Dingen erschwingliche Möglichkeiten für eine legale Einreise zu schaffen, reagiert die EU kleingeistig und schottet sich, allen gegensätzlichen Beteuerungen zum Trotz, hermetisch ab.

Eigenbrötlerisch, ohne Visionen.

http://www.tageblatt.lu/nachrichten/meinung/story/22068527

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